Eröffnungsrede

von Georg Gartz - 2010

„Reihenweise links“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen Frau Antje Winkler-Süße vorzustellen erübrigt sich, weil viele hier in Köln sie kennen werden, zumindest als Vorsitzende des Fördervereins des Museums Zündorfer Wehrturm. Als Künstlerin hat sie sich mit Ausstellung im Kölner Raum eher zurückgehalten, so ist es dankeswert, dass sie hier in der VHS ihre malerischen Arbeiten aus mehr als sieben Jahren entfalten kann.
Bilder, die auf eine längere malerische Auseinandersetzung zurückgehen und die eine verblüffende Entwicklung zeigen. Selten sieht man einen solchen Weg von der abstrakten zu einer figurativen Malerei. Natürlich würde Antje jetzt protestieren und ihre heutigen Arbeiten auch als abstrakt bezeichnen, was sie im engeren Sinn auch sind, aber es ist spannend zu beobachten, wie bei ihren Bildern auf einmal der Mensch ins Bildfeld rückt. Und das ist hier im großen Raum gut zu beobachten.
Beginnen wir mit den frühen Arbeiten aus dem Jahr 2003, sogenannte Streifenbilder, weil der Bildgrund zunächst in senkrechte Felder geteilt wird, „um im Bildformat einen Halt zu finden“, wie Antje sagt und dann brauche sie noch weitere Flächen, um die Farbe unterzubringen; so entstanden die schemenartigen menschlichen Figuren. Daraus schuf sie eine Bildkomposition, die von der Farbe lebt und Farbe ist ihr Thema. Doch bei diesen ersten Arbeiten ist es erst einmal die Farbe Schwarz: sie beginnt mit schwarzer Tusche und einem Pinsel auf die Leinwand zu schreiben, wischt die Farbe wieder ab, schreibt neu und nutzt den Scheuerschwamm, um wieder Pinselspuren zu verwischen. So entstehen zunächst eher zufällig menschliche Figuren, oder besser, sie sieht in den Flecken menschliche Gestalten und arbeitet sie weiter aus. Noch ist alles schwarz, oder grau, oder schwarz und weiß, aber sie braucht Farbe, aber welche Farbe nimmt sie? Sie entscheidet: die Hautfarbe des Menschen hier bei uns ist rosa. Und so nutzt sie diese Farbe, um den Figuren einen Raum zu geben. Diese Farbe ist deckend aufgetragen. Daraus entstehen die Kontraste, die die Malerei von Antje so lebendig machen.
Besser sieht man das noch in der Serie der Bilder, die 2005 entstanden sind, auf denen die Menschen farbige Kleider tragen. Natürlich sind das keine Kleider, sondern nur Farbflächen, so würde Antje sagen, Flächen, die sie braucht, um Farbe aufzutragen, und um die Lebendigkeit der Bilder zu steigern. Und diese Bilder leben von der Art und Weise, wie die Farbe aufgetragen wird. Transparent und deckend, rau und glatt, gespachtelt und weggeschrubbt, Es entstehen kantige Flächen und fließende Formen. Es ist eine Malerei zwischen Spontaneität und Kalkulation.
In der Serie von 2009 sind dann aus den Figurinen Typen geworden. Schrullig, verletzt, schrill, skurril und makaber. Man hat den Eindruck, dass eine Figur eine Beinprothese hat und eine andere ein seltsames Körperteil in den Armen hält. Aus den abstrakten Farbflächen sind Wesen geworden, die von einer Verletzlichkeit zeugen, wie sie dem menschlichen Leben eigen ist. Es sind nicht mehr die menschlichen Prototypen z.B. eines Kasimir Malewitsch, sondern Menschen mit Geschichte, wie wir sie in den Arbeiten von Jonathan Meese oder Daniel Richter finden.
All das findet einen gewissen Höhepunkt in den großen Arbeiten von 2009. Die Organisation der Bildfläche ist gleich geblieben: die senkrechte Gliederung des Bildformats - aber jetzt hat der Mensch vollkommen den Bildraum ausgefüllt. Drei Menschen, drei Frauen in farbigen Kleidern. Doch für Antje spielt es keine Rolle, dass es Frauen sind, für sie sind die Farbflächen wichtig, die bei Kleidern einfach größer sind. Und dann entsteht daraus eine Reihung, die einen Dialog mit Farben und mit dem Farbauftrag ermöglicht, „Dezent bunt“, nennt Antje ihre Farbigkeit und freut sich darüber, wenn „ein Hauch von unkontrolliertem Strich“ die Flächen hinterfragt. Dass daraus zufällig ein Gesicht entsteht ist dabei Nebensache.
Reihenweise Links nennt Antje ihre Ausstellung und verweist dabei auf ihre serielle Arbeitsweise, aber auch darauf, dass es bei dem Seriellen um Wiederholungen und Verweise geht. Nun sind diese Wiederholungen in der Malerei natürlich nicht einfache Kopien, sondern Variationen des gleichen Schemas. Die Bilder leben von den Unterschieden. Die Reihung, meist als Streifen braucht Antje wie ein Gerüst, das ihr die Sicherheit gibt, sich darauf frei zu bewegen. Dieses Gerüst kann dann auch schon einmal selber zum Thema werden, wie bei den Landschaftsbildern aus dem Jahre 2005 / 2008, die sie im Flur sehen. Hier scheint sie das noch einmal zu überprüfen, was sie in den anderen Arbeiten schon vielfältig genutzt hat. Landschaftlich ist nur der Horizont, ansonsten sind es die Farben, die ihre Leidenschaft sind. Dabei ist es neben dem Schwarz immer das Rosa, das ihr Interesse weckt.
„Rosa ist keine Farbe mit elementarer Wirkung.“ schreibt die Soziologin und Psychologin Eva Heller in ihrem Buch „wie Farben wirken“: “Es ist das geschwächte Rot, das verschönerte Weiß. Es ist die Mischung aus dem männlichen Rot und dem weiblichen Weiß. Rot ist groß und stark, Rosa ist klein und zart.“ Und weiter schreibt sie: Alle Eigenschaften, die Rosa zugeschrieben werden, gelten als typisch weibliche Eigenschaften. Rosa symbolisiert die Stärken der Schwachen. Es ist die Farbe wie Harmonie“
Wie auch immer sie zu der Farbe rosa stehen, hier in diesen Bildern wird sie auf beste gefeiert, auch in den Arbeiten, die fern von jeder Gegenständlichkeit sind, wie die Fensterbilder, die im Gang hängen. Fensterbilder insofern, als dass in diesen Arbeiten die senkrechten Streifen durch Querlinien wie Sprossen eines Fensters geteilt werden. Hier gilt die gesamte Konzentration der Malerin dem Farbauftrag. Fein und rau, borstig und samtig präsentiert sich das Rosa, hier im Kontrast zu grün. Ein frisches Grün, fast zart. So sieht die Psychologin Eva Heller das Grün im Kontrast zum Rosa als das Symbol des vegetativen Lebens an, das Rosa verkörpert dagegen das menschliche Leben, insbesondere das junge Leben. „Rosa und Grün, das ist jung, frisch, angenehm.“ Wie die Farben, so die Bilder. Antje Winkler Süße hat ein Talent, in strenger Ordnung der Farbe eine Lebendigkeit zu geben, die aus dem Leben zu kommen scheint. Und so ist es zuletzt die Malerin selbst, die uns in all diesen Arbeiten mit all ihrer individuellen Lebenssicht gegenübersteht. Und die sind jung, frisch und spannend.
Das zeigt sich besonders noch einmal bei dem Arbeiten die hier im Zwischengang hängen: „Mein schönes Kleid“ ist ein Fest der Farben und ist ausnehmend erzählerisch. Nicht die formale Frage des Bildaufbaus steht hier im Vordergrung, sondern ein sehr menschliches Problem, der Rücken, oder besser das Rückrad, das hier zu einer formalen Reihung geworden ist und wie dem Menschen im Leben, hier der Farbe den Halt gibt. Zum Schluss noch ein Blick auf die Papierarbeiten, die in ihrer erzählerischen Lebendigkeitim Gegensatz zu den malerischen Arbeiten zu stehen scheinen. Hier zeigt sich eine Künstlerin, die das Talent zu einer karikaturhaften Wiederspiegelung des Alltäglichen hat. Dabei betont sie immer wieder, das die Zeichnungen assoziativ entstehen, aus dem Malprozess heraus. Oft ist es die Tusche, die sie spontan aufs Blatt setzt und dann schaut, was sich daraus ergibt. So entstehen ihre Petitessen, von denen sie einige in der Vitrine sehen. Es sind sogenannte Blindzeichnungen. Immer wieder können sie in den Zeichnungen Elemente sehen, die dann hier und da in den Gemälden auftauchen. So bilden die Zeichnungen einen lebendigen Dialog mit der Malerei. Wie man auch in der Zeichnung erkennen kann, die auf der Einladungskarte abgebildet ist. Mann – oder Frau – mit Einkaufswagen.
Wie kommt man auf diese Idee, daraus eine Serie zu machen? Ist es Konsumkritik oder sind es einfach Szenen aus dem Alltagsleben einer Mutter. Nein - ich sehe hier eine andere Dimension und interpretiere den Einkaufswagen als Leinwand. In die die Künstlerin manchmal hinauskriecht, weit von sich schiebt oder mit anderen sich in einer Reihe anstellt. Die Leinwand, die zunächst in senkrechte und dann wie bei den Fensterbildern oder den Spiralbildern in waagerechte Flächen unterteilt wird. So entsteht ein Gerüst, das mit vier Rollen darunten schnell auch einmal zum Einkaufswagen werden kann. Und so begegnet uns auch hier wieder die Künstlerin, die sich im Atelier anscheinend nur mit Farbe und Form beschäftigt, in Wirklichkeit aber klug und sensibel die Welt beobachtet.

Georg Gartz 2010